Empathie? Trainieren in 2019! Buddhismus & Wissenschaft

Wir haben die Tage „zwischen den Jahren“. Eine Reflektionszeit, in der ich dir ein paar Gedanken zu Empathie ans Herz legen möchte. Was inspiriert mich hierzu? 

Gestern bin ich nach den traditionellen Weihnachtstagen bei meiner Familie wieder zurück gekommen. Ich hatte mir vorgenommen, dieses Jahr nicht so auf Autopilot zu fahren, das heißt, auf die gleiche Weise zu reagieren wie immer wenn z.B. mein Opa etwas erzählt oder der Satz fällt „du bist aber groß geworden.“. Wir neigen dazu, automatisch in die gleichen Verhaltensweisen und Rollen zu verfallen. 

Mehr Ruhe wollte ich ausstrahlen. Mehr Enthusiasmus. Mehr Empathie aufbringen und vor allem Mehr Dasein. 

Ist mir das stets gelungen? Pustekuchen, natürlich nicht. 
Dennoch gab es dieses Jahr vermehrt Momente, in denen ich wie ein Selbstbeobachter war. Dabei stellte ich fest, dass jeder Moment das Potenzial inne trägt, emphatisch zu (re)agieren. Nur woher kommt Energie dafür? 

Matthieu Ricard (Buddhist, Wissenschaftler des Mind&Life Institutes) nannte einmal das Beispiel des Berufs Krankenschwester. Sie sind unentwegt konfrontiert mit dem Leiden anderer und es ist ihre Aufgabe, Empathie auszustrahlen. In der Psychologie wissen wir jedoch: Stand-alone empathy (ausschließliches Mitfühlen) kann zu unerträglichen Stress und emotionalen Burnout führen.  

Stand-alone-empathy lässt uns ausbrennen.

Empathie & Altruistische Liebe

Matthieu Ricard
Matthieu Ricard

Was wir dem Buddhisten und Wissenschaftler folgend brauchen ist eine emphatische Basis, bestehend aus selbstloser (altruistischer) Liebe.

„suffering is still there, and you feel it, but now it’s completely embraced by this much vaster perspective of positive, constructive, courageous altruistic love.“ (Matthieu Ricard: 2010) 

Die Neurowissenschaftlerin Tania Singer (u.a. 2004) zeigte, dass, wenn wir das Leiden anderer wahrnehmen, in unserem Gehirn die gleichen Schmerz-Areale aktiv sind, wie wenn wir selber leiden. In einem Experimente wurden Menschen hierfür Bilder mit schmerzverzogenen Gesichtern oder Händen, die Nadelstiche erhielten, gezeigt. Die Gehirnaufnahmen dieser Menschen zeigten deutlich: 
Wir bilden uns das nicht ein: Wir leiden wirklich mit. 

Empathie Experiment

 

Bezogen auf unsere In-Gruppe, z.B. unsere Familie zeigt sich die Intensität des Mitfühlens am höchsten. (Davidson: 2008)

Erkenntnis: Unser Gehirn teilt sich Gefühle mit anderen. Wir sind viel mehr verbunden als wir dachten. 

Emotional contagion

Während uns diese Art des Mitfühlens bewusst ist, gibt es auch eine unbewusste Form der Empathie: emotional contagion. Diese lässt Babys mitweinen, wenn andere Kinder weinen, sie lässt uns lächeln, wenn andere lächeln usw.. Sie ist biologisch veranlagt.
Müssten wir demnach also unentwegt emphatisch sein? Ich denke, dir fallen genau wie mir auf einen Schlag Menschen ein, die das nicht sind oder denen gegenüber du das nicht bist. 
 
Was blockiert deine Empathie? 
Emphatisches Handeln, das durch Schadenfreude motiviert ist, begrenzt deine „biologische“ Empathie. Genauso der Rahmen deiner In-Gruppe. 

Richard Davidson (2008) zeigte jedoch, dass wir alle Empathie trainieren können, die über unsere In-Gruppe hinweg geht. Das geht besonders durch einen Perspektivenwechsel. Und wie? 

Buddhismus 

Empathie trainieren

Matthieu Ricard sprach von einer altruistischen Liebe, als Basis für jenes emphatische Handeln, das uns nicht ausbrennen lässt, sondern im Gegenteil sogar stärkt. 

Die Neurowissenschaftler erkannten, dass Empathie trainiert werden kann wie ein Skill. Bereits nach 2 Wochen Meditationstraining bzgl. Mitgefühl konnten Veränderungen im Gehirn erkannt werden. Je mehr sich die Gehirnaktivität verändert hatte, desto stärker handelten Menschen altruistisch. Ausschlaggebend sind neben unserer Biologie, unserer Erfahrungen. Auf unsere Erfahrungen haben wir Einfluss. 

Biologie + Erfahrung = bestimmtes altruistisches Verhalten 

Kontemplation als Empathie-Training fürs Gehirn 

Der Buddhist Thuptan Jinpa sieht eine Parallele zum Prozess der Mitgefühlspraxis. Hier würdest du einer anderen Person dieselbe Wärme gegenüber bringen, die du deiner Mutter gibst. Das heißt, allen Lebewesen schenkst du im ersten Schritt Wertschätzung. Verbundenheitsgefühle wachsen. Es wird unerträglich, jemand anderen Leiden zu sehen und wir sind innerlich motiviert, emphatisch zu handeln. 

Es droht kein emotionales Ausbrennen. Wieso? Weil wir erst das Ganze sehen, wertschätzen und aus der Verbindung gestärkt handeln.

Das Neurowissenschaftliche Empathie-Training ging ähnlich vor: 

  1.     Einem geliebten Menschen Mitgefühl entgegen bringen
  2.     Zu sich selbst wohlwollend sein 
  3.     Einem Fremden dieses Gefühl zu senden 
  4.     Einer „schwierigen“ Person wohlwollen geben  

Die Ergebnisse zeigten, dass bereits nach 2 Wochen Meditation die Höhe an Empathie für Fremden vergleichbar ist mit der Empathie, die man vor dem Training sich selbst schenkte.

„das Feld der Aufmerksamkeit expandieren“ (Dalai Lama: 2010)

Der Dalai Lama sagte, dass die buddhistische Praxis in dem Prozess nicht dabei ansetzte, die Intensität der Gefühle zu reduzieren, sondern das Feld der Aufmerksamkeit zu erweitern. 

Ähnliches hast du vielleicht selbst schon in deiner kontemplativen Praxis (Yoga, Meditation) gemerkt: Wenn wir praktizieren beginnen wir, mehr wahrzunehmen. Wir fokussieren unseren Geist nicht mehr ausschließlich auf den eigenen Schmerz, sondern nehmen das Ganze wahr.

Anstatt zu sagen „So bin ich halt.“ können wir Empathie wie einen Skill durch Kontemplation trainieren. Die Praxis muss dabei auf einem Perspektivenwechsel beruhen, ein Reinspüren in andere und sie als uns selbst wertschätzen. 

Erkenntnis: Das Fundament von Empathie ist verbundene Wertschätzung. 

Ein großes Problem ist meiner Meinung nach, dass wir uns in unserer Gesellschaft als getrennte und autonome Wesen wahrnehmen. 
Aber nicht nur unsere Daten- und Wirtschaftsströme sind vernetzt. Die Experimente, die ich dir schilderte zeigen, dass wir von Geburt an eine Form der Verbundenheit in uns tragen. Wir als Menschen haben die Gabe, ineinander rein zu spüren, auf einer Beobachter-Ebene zu reflektieren und miteinander bewusst zu Sein. 

Die kontemplativen Praktiken, die östlichen Philosophie (Yoga, Tantra, Buddhismus usw.) und nun auch die Neurowissenschaft zeigen, dass wir „halt nicht so sind wie wir sind“. 
Empathie ist nicht nur lernbar, sondern hat das Potential eines richtigen Energiespenders, weil du nur aus Verbundenheit wirklich emphatisch handelst. Auf diesem Wege ist das eigene Glück ein Nebenprodukt! 

Guter Vorsatz: Empathie trainieren

Meine Inspiration für deinen guten Vorsatz ist Empathie! 
Mit dem Wissen, das du jetzt hast ist es vielleicht deine Vorsatzidee, die nicht nur für dich sondern als Nebeneffekt für Alle ein positives neues Jahr 2019 bringen wird. Hier habe ich eine 13 Minuten Mediation online gefunden, die ich als angenehm empfinde.

 

 

Es gibt zahlreiche vergleichbare, achte unbedingt darauf, dass die Stimme mit dir resoniert :)    

Ich wünsche Dir und deinen Liebsten ein wundervollen Start in ein neues Jahr, in Verbundenheit, Mitgefühl und voller Energie!

Namasté 

Nadine 

 

Weitere Inspiration:

Singer, T., Seymour, B., O'doherty, J., Kaube, H., Dolan, R. J., & Frith, C. D. (2004). Empathy for pain involves the affective but not sensory components of pain. Science303(5661), 1157-1162.

Lutz, A., Brefczynski-Lewis, J., Johnstone, T., & Davidson, R. J. (2008). Regulation of the neural circuitry of emotion by compassion meditation: effects of meditative expertise. 

Edited by Tania Singer and Matthieu Ricard; With a Foreword by His Holiness the Dalai Lama (2015): Caring Economics.Conversations on Altruism and Compassion, Between Scientists, Economists, and the Dalai Lama. Picador.

 

Bildquellen:(https://www.matthieuricard.org/en/about) https://www.semanticscholar.org/paper/The-empathic-brain%3A-how%2C-when-and-why-Vignemont-Singer/24c64dc1e20924d4c2f65bf1e71f59abe2195f2e