Was dein Rücken mir erzählt! Körpersprache & Tantraphilosophie

Ihr Lieben, 

habt ihr euch schonmal bewusst über die Rückseite des Körpers Gedanken gemacht? 
„Ja!“ .. zumindest dann, wenn der Rücken sich mit Schmerzen bemerkbar macht. Doch das Sprichwort „Ein schöner Rücken kann auch entzücken“ kommt nicht von ungefähr. Auf der Suche nach der subtilen Bedeutung unserer abgewendeten Seite bin ich auf Ansätze der nonverbalen Kommunikation und des Yoga gestoßen. 

„Ein schöner Rücken kann auch entzücken.“ 

Lass’ uns dies einmal tiefer hinterfragen: Wann ist ein Rücken „schön“?
Jeder von uns würde sagen, wenn die Haltung aufrecht ist und der Rücken stark wirkt. Und was ist es, dass zur „Entzückung“ führt? 
Dass Phänomen, das Entzücken beim Betrachter hervorruft ist vielmehr der Anmut, den diese Person ausstrahlt, als ihr Rücken selbst. Es ist die selbstbewusste Wirkung auf uns.  

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen dem oberflächigen Einnehmen einer aufrechten Position, die schnell gekünstelt und angestrengt wirken kann, und einer, die aus einer inneren Überzeugung resultiert. 
Hältst du eine Präsentation mag es reichen, dir deine Haltung einmal ins Bewusstsein zu rufen und dich neu auszurichten, wenn du jedoch nicht innerlich überzeugt bist von dem was du präsentierst, verlierst du über kurz oder lang diese Haltung wieder. 

Was also richtet den Rücken wirklich auf? 

Wieder einmal zeigt sich, dass in unseren Redewendungen viel wahre Raffinesse steckt: „etwas stützt mir den Rücken“, „ein starkes Rückgrat haben“, „ich halte dir den Rücken frei“ - sie weisen darauf hin, dass wir uns durch die starke Rückseite Öffnung erlauben können. 
Die emotionale Öffnung und Ausstrahlung kommt demnach durch das Wissen, dass die uns abgewendete Seite gestärkt ist. Es gibt einen Zusammenhang zwischen körperlicher Aufrichtung und seelischer Verfassung.

In der Nonverbalen Kommunikation wurde zur Veranschaulichung der Kommunikationsweisen z.B. das Linsenmodell nach Brunswick (1956) herangezogen. Der Sender sendet Informationen, welche auf Emotionen, Persönlichkeitsmerkmalen, Reaktionstendenzen zurückzuführen, und tut dies wie durch eine „Linse“ bestehend aus: Körperhaltung, Sprache, Mimik, Gestik usw.. Die Signale werden individuell verschieden gesendet und je nach Kommunikationspartner verschieden verstanden. Es wird eine gleichzeitige Betrachtung der Kommunikationskanäle nahegelegt. Die gerade Aufrichtung wirkt wohl kaum Selbstbewusst, wenn dies nicht mit Mimik, Gestik und Sprache untermauert ist. 

Ein einheitliches „Werk der menschlichen Körpersprache“ ist vermutlich unmöglich, dennoch gibt es Tendenzen, dass wir alle bestimmte Kommunikationskanäle in bestimmten Situationen vermehrt nutzen. 
Agryl zum Beispiel ist der Meinung, dass unsere Körperhaltung über die Intensität von Gefühlen Aufschluss gibt und die Mimik eher über die Art der Gefühle. 
Die Mimik ist als Kommunikationskanal offensichtlicher als der Rücken, ABER der Rücken verrät uns nach Agryl wie stark das Fundament des ausgedrückten Gefühles ist. 

Unser Leben lang widmen wir uns bewusst der Vorderseite und unserer Mimik zu - wir reden, wir greifen, wir gestikulieren - immer neigen wir uns vor! 
Bei einem Gefühl von innerlicher Stärke hingegen, richten wir uns unbewusst auf und lehnen uns zurück - wir sind nicht in Angriffsstimmung sondern empfangen! 
Im Yoga wenden wir uns deshalb bewusst der Rückseite zu.  

Yoga und die Rückseite 

Im z.B. Anusara Yoga, welche auf der tantrischen Philosophie beruht, ist unserer Rückseite von enormer Bedeutung. Nicht nur ist die Aufrichtung des Rückens aus einer Yogaklasse nicht weg zu denken, hier werden zusätzlich häufig Rückbeugen praktiziert, weil denen eine enorme emotionale Wirkung zugesprochen wird. 
Das rührt daher, dass die Rückseite unseres Körpers als universelle Seite angesehen wird, also als die Seite, wo all die Ich-bezogene Kommunikationskanäle der Vorderseite ihre Bedeutung verlieren. 
In dem Moment, wo du dich zurücklehnst, ruhst du in dem Wissen, dass dich etwas „stützt“. Und dieses „etwas“ ist in der taktischen Philosophie das Wissen, dass du Teil einer Einheit bist. Die ganze Welt stützt dir den Rücken!  

Folglich erfordern Rückbeugen Vertrauen in diese Welt und die Verbindung, die wir mit allem das existiert haben. Wir müssen dem Vertrauen, dass „hinter uns steht“.

Interessant ist es, dass wir ein Wechselspiel haben zwischen dem Üben der Aufrichtung auf der einen und der innerlichen Ausrichtung auf der anderen Seite. Durch die Asanapraxis kann das innerliche Gefühl kommen und durch das Gefühl nehmen wir wiederum eine selbstbewusste Haltung ein.

Wir drücken Selbstbewusstsein aus, weil wir uns Selbst im Ganzen bewusst werden und umgekehrt. 

Die parallele Erkenntnis der Psychologie nennt sich: „power Posen“. Durch power Stellungen (wie ein breitbeiniger aufrechter Stand) können wir innere Stärke kultivieren und andersherum. (Amy Cuddy, 2012) 

 

Ich würden schlussendlich sagen, dass dein „Entzückender Rücken“ durch das Selbst Bewusstsein kommt, welches auf dem Gefühl für eine stärkende Verbindung basiert. Und, dass dieses Gefühl wiederum entsteht, wenn du dir deiner Rückseite in der Yogapraxis wie im Alltag immer wieder Bewusst wirst. 
Vielleicht hilft es, uns von Augenblick zu Augenblick zu fragen:

„Was sagt mein Rücken gerade über mich aus?“ 


In aller Liebe 
Eure Nadine 

 

Für die Yogi-Forscher unter uns: 

Memmert E. (1999) Die nonverbale Kommunikation mit dem Rücken - Eine Übersicht. In: Die Wirbelsäule in der Anschauung. Springer, Berlin, Heidelberg. 
Ellgring, J. H. (2010). Nonverbale Kommunikation.
Cuddy A.bzgl. Power Pose: http://www.ted.com/talks/amy_cuddy_your_body_language_shapes_who_you_are